KONSTANTIN FAIGLE |
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Der georgische Tunnel: Seit ich vor circa zehn Jahren das erste Mal in Georgien war, diesem kleinen faszinierenden Land im Kaukasus mit einer eigenen Sprache und Schrift, hat sich dort vieles verändert: Aus einem chaotischen postsowjetischen Bürgerkriegsland wurde eine Demokratie. BMW, Gucci und McDonald’s fanden hier schnell ihren Einzug. Die Amerikaner erkannten die geostrategische Bedeutung des Landes und bauten eine Ölpipeline quer durchs Land und eine Rosenrevolution sollte die alten, mafiösen Seilschaften in der Politik beenden, um neue zu erschaffen.
Georgien pendelt für mich, seit ich es kenne, zwischen zwei sehr unterschiedlichen Extremen. Und es ist so, als ob es zwischen diesen extremen Zuständen nichts als einen langen, dunklen Tunnel gäbe. Auf der einen Seite dieses georgischen Tunnels befindet sich immer wieder das Chaos, der Bankrott und eine Unfähigkeit der Georgier, sich real und bescheiden der Realität zu stellen. Auf der anderen Seite des Tunnels steht das Paradies: die unglaubliche Schönheit der georgischen Landschaft, die Herzlichkeit und Lebensfreude der Menschen und die tiefe und mannigfaltige Kultur Georgiens. Es ist eine Latenz, die irgendwie nicht zusammenkommen will. Und dazwischen gibt es anscheinend nichts, keinen Mittelweg, nur das Dunkel des Tunnels. Das Land schwankt somit ständig zwischen dem Gefühl der Hoffnung (Licht am Ende des Tunnels) und einer Verzweiflung (Tunnel am Ende des Lichts). Es ist das Vakuum, das viele postkommunistische Länder erfasst. Mehr als 70 Jahre unter sowjetischer Herrschaft haben auch in Georgien keinen neuen Menschen hervorgebracht. Im Gegenteil, dem postkommunistischen Menschen fehlt es zunehmend an Altruismussinn. Der Hang zu Korruption, zu mafiösen Strukturen und zu einem ausufernden Turbokapitalismus sind hierbei impliziert. Die orthodoxe Religion spielt für mich in Georgien trotz ihrer visuellen Präsenz nur eine Nebenrolle, mehr als private Rückversicherung des Einzelnen als die erforderliche, breite gesellschaftliche, moralische Instanz. Einzig und allein die jungen Georgier und vor allem die fast schon vergessenen Künste und Künstler Georgiens können für mich dieses Vakuum, diesen georgischen Tunnel wieder erhellen, um die Extreme des Landes zu verbinden und um einen neuen Weg zu finden...
Konstantin Faigle, geboren 1971, ist freier Autor und Filmemacher. Studium der Medientechnik in Stuttgart mit dem Abschluß Dipl.-Ing. Seither arbeitet er als freier Cutter, Autor und Regisseur u.a. für den WDR, das ZDF und arte. Postgraduiertenstudium an der Kunsthochschule für Medien in Köln im Bereich Drehbuch und Regie. Für seinen ersten Dokumentarfilm "Out of Edeka" erhielt er 2001 den Bayerischen Dokumentarfilmpreis Der junge Löwe. Sein Kinodokumentarfilm "Die große Depression – made in Germany" (2005) lief auf zahlreichen Festivals im In- und Ausland und wurde für den diesjährigen Grimme-Preis nominiert. Konstantin Faigle hat die Eindrücke seiner drei Georgienreisen (1998/2000/2003) in einer Fotomontage und in einer Videoinstallation festgehalten. |